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Change Management - Was gibt es aus psychologischer Sicht zu beachten?

Team Puzzel

„Nichts ist so beständig wie der Wandel“ (Heraklit). Bereits vor unserer Zeitrechnung war Veränderung etwas Normales und insbesondere in der aktuellen Zeit mit der globalen Pandemie und einer schwierigen geopolitischen Situation wirkt das Zitat umso aktueller. Die vergangenen Jahre haben Unternehmen und Einzelpersonen vor große Herausforderungen gestellt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und Hürden zu bewältigen.

Veränderungen entstehen durch unterschiedliche Auslöser. Zum einen können es externe Ursachen sein: Da ein Unternehmen immer auch im Kontakt zur Außenwelt steht und sich nicht vollständig abgrenzen kann, führen äußere Einflüsse häufig auch zu Veränderungen in der internen Organisation. Mögliche relevante Faktoren sind dabei unter anderem die politische, die technologische, die gesamtwirtschaftliche oder aber auch die soziale Umwelt. In den letzten Jahren waren dies Themen wie der Klimawandel, die Überalterung der Gesellschaft, politische Konflikte und die zunehmende Digitalisierung der (Arbeits-)Welt. Aktuell zwingen die Pandemie und der Krieg in der Ukraine nahezu alle Unternehmen zu mehr oder weniger großen Change-Management-Prozessen.

Neben den externen Einflussfaktoren können allerdings auch interne Faktoren für einen Unternehmenswandel verantwortlich sein. Dazu gehören beispielsweise Auslöser wie solche, dass Unternehmensgründer:innen ausscheiden, dass ein Unternehmen stark wächst, dass ein Kulturwandel vorangetrieben wird oder dass es zu internen Reibungsverlusten kommt.

Gründe, warum eine Veränderung nicht gelingt, kann es prinzipiell viele geben. Entsprechend einer Studie (siehe auch Schott & Wick, 2005) liegt der häufigste Grund im Widerstand der Mitarbeiter:innen. Dies zeigt, wie wichtig es ist, Veränderungen gemeinsam mit allen Beteiligten anzugehen und die jeweilige mentale Verarbeitung eines solchen Prozesses zu berücksichtigen. Diesbezüglich wollen wir hier vorrangig auf zwei Themen eingehen: Stress und individuelle Bedürfnisse.

Menschliche Bedürfnisse

Veränderung ist für den Menschen noch nie leicht gewesen. Wir sind Gewohnheitstiere, und zu viel Veränderung kann herausfordernd sein. Der Grund dafür liegt in den menschlichen Grundbedürfnissen, die sich nach Grawe (1998) in insgesamt vier verschiedene Kategorien unterteilen lassen:

1.       Kontrolle und Orientierung: Der Mensch braucht das Gefühl, zu wissen, in was für einer Situation er sich befindet und wie sich die Situation entwickeln wird. Auch sind uns Sicherheit und das Gefühl, die Kontrolle über uns und die Situation zu haben, wichtig.

2.       Bindung: Die Bindung zu anderen Menschen umfasst unsere Familie, aber auch unsere Freundschaften, Partnerschaften, Vereine und weitere soziale Systeme. Die meisten Menschen brauchen das Gefühl einer stabilen Bindung zu anderen. Und vermutlich kennen die meisten, wie unangenehm es ist, wenn wir uns einsam fühlen und gewissermaßen bindungslos sind.

3.       Lust: Dinge tun zu können, die uns Spaß machen, und Dinge zu vermeiden, die uns keinen Spaß bereiten, gehört ebenfalls zu den menschlichen Grundbedürfnissen.

4.       Selbstwert: Erfahrungen zu machen, die uns zeigen, dass wir Fähigkeiten besitzen und wertvoll (ggf. auch für andere) sind, ist ebenfalls enorm wichtig und stellt damit das letzte der vier Grundbedürfnisse dar.

Veränderungen können dabei häufig erstmal mit einer Frustration einhergehen, wenn die Erfüllung der genannten Bedürfnisse darunter leidet. Es ist wichtig, sich in Bedürfnisse nicht hineinzusteigern, die wir in der aktuellen Situation nicht befriedigen können. Ähnlich verhält es sich auch bei Regeln, Einstellungen und Gewohnheiten in einem Unternehmen. Je mehr wir innerlich gegen die äußeren Umstände ankämpfen (z. B.: „Aber wir haben das schon immer so gemacht“) und an nicht zu befriedigenden Bedürfnissen festhalten (z. B.: „Aber ich muss doch die Kontrolle behalten“), umso größer wird häufig der damit verbundene Stress.

Pfeile

Auch aus Organisationssicht heraus ist die Beachtung der menschlichen Bedürfnisse wichtig, da wir dadurch auf den Umgang der Mitarbeiter:innen mit der Veränderung Einfluss nehmen und sicherstellen können, dass wir gemeinsam und erfolgreich durch den Change-Management-Prozess kommen. Entsprechend ist es wichtig, im Prozess zu identifizieren, welche Bedürfnisse durch die individuelle Veränderungsmaßnahmen frustriert werden könnten, um dann Maßnahmen zu implementieren, die die Bedürfnisse möglichst berücksichtigen.

Für das Bedürfnis nach Kontrolle kann dies beispielsweise bedeuten, dass man gemeinsame Ziele und eine gemeinsame Vision entwickelt, dass man Veränderungsmaßnahmen transparent kommuniziert und dass man aktiv das Feedback und die Vorschläge der Beschäftigten einholt. Das Bedürfnis nach Bindung kann beispielsweise dadurch berücksichtigt werden, dass regelmäßige Gesprächsrunden mit den Mitarbeitenden geführt werden, dass die Vernetzung innerhalb der Organisation durch gemeinsame Veranstaltungen ermöglicht wird oder Orte zu informellen Treffen identifiziert werden. Der Selbstwert kann potenziell dadurch gestützt werden, dass persönliches Feedback gegeben wird, dass die Vorschläge der Mitarbeitenden für den Prozess gesehen und berücksichtigt werden oder auch, dass individuelle, erreichbare Ziele mit den Mitarbeitenden vereinbart und durchgeführt werden. Das letzte Bedürfnis (Lust) kann z. B. dergestalt berücksichtigt werden, dass den Mitarbeitenden ein gewisser Raum zur Selbstbestimmung gegeben wird (z. B. ist Google auch dafür bekannt geworden, dass Mitarbeitende einen Tag in der Woche für ein eigenes Projekt verwenden können), dass auf Abwechslung bei den Tätigkeiten geachtet  oder dass z. B. eine Job-Rotation ermöglicht wird.

Change Management und physiologische Folgen

Als zusätzliche Folge von frustrierten Bedürfnissen kann auch Stress entstehen. Chronischer Stress kann, wie mittlerweile viele Studien belegen, negative Auswirkungen auf unsere psychische und körperliche Gesundheit haben. Nicht umsonst ist „Burnout“ zu einer Modediagnose geworden.

Ob wir tatsächlich Stress empfinden, hängt nach dem Psychologen Richard Lazarus (1984) von zwei Bewertungen ab: Zunächst wird die Situation danach bewertet, ob sie positiv, irrelevant oder gefährlich ist (primäre Bewertung). Nur wenn sie als potenziell gefährlich eingestuft wird, kann es zu Stress kommen. In einem zweiten Schritt wird vom Individuum eingeschätzt, ob ausreichend Ressourcen vorhanden sind, um mit der Situation umzugehen (sekundäre Bewertung), und was die Folgen sein könnten. Falls keine ausreichenden Möglichkeiten zur Bewältigung vorliegen, kommt es nach Lazarus‘ Modell zu Stress.

Auf Organisationsebene sowie auf Ebene der Einzelperson enthält das Modell wichtige Implikationen: Zum einen können wir bei der primären Bewertung ansetzen und durch Kommunikation darauf hinwirken, dass Veränderungen als etwas Positives wahrgenommen werden und nicht nur die negativen Seiten im Vordergrund stehen. Zum anderen kann es wichtig sein, den Beschäftigten die notwendigen Kompetenzen an die Hand zu geben, die für den spezifischen Change hilfreich sind. Durch Berücksichtigung der Bewertungsprozesse können wir die Menge an erlebtem Stress und innerem Widerstand – damit also auch potenzielle gesundheitliche Konsequenzen – reduzieren. Weiterhin bleibt der innere Umgang jeder einzelnen Person mit Veränderungen essenziell. Dabei kann möglicherweise Folgendes hilfreich sein: das Sich-bewusst-Machen der bisher erfolgreich überstandenen Veränderungen und die innerliche Bewertung der belastenden, schwierigen Situation als „Herausforderung“ sowie die gezielte Selbstfürsorge (sich bewusst um sich selbst kümmern, z. B. in Form von aktiver Entspannung oder persönlich wohltuenden und hilfreichen Aktivitäten).

Zusammenfassend lässt sich aus psychologischer Sicht sagen: Veränderung kann nur dann nachhaltig gelingen, wenn alle Beteiligten in den Prozess integriert werden und ihre individuellen Bedürfnisse und inneren Prozesse berücksichtigt werden.

Autor: Jan Schittenhelm, M.Sc. Psychologie, Psychologischer Psychotherapeut