Eva, eine junge Führungskraft, hat das Gefühl, ihrer Führungsrolle nicht gewachsen zu sein. Nachts schläft sie schlecht, geplagt von Gedanken, was sie alles am nächsten Tag erledigen muss. Sie macht sich Vorwürfe, wegen Situationen, die ungünstig verlaufen sind. Eva hat sich sehr um diese Position bemüht und die Jahre zuvor hart gearbeitet. Nun ist sie also Führungskraft, umgeben von erfahrenen, hoch qualifizierten Kolleg:innen. Innerlich sagt sie sich: „Ich gehöre nicht hierhin. Alle anderen machen den Job viel besser als ich. Die haben mich doch bloß zur Führungskraft befördert, weil es keinen anderen gab. Ich verdiene diesen Erfolg nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis mein Team merkt, dass ich nichts draufhabe.“
So arbeitet Eva noch mehr als sonst, um ihre Unsicherheit zu vertuschen. Zudem vermeidet sie es, die Verantwortung für größere Projekte zu übernehmen – aus Angst, dass ihre scheinbare Inkompetenz enttarnt wird. Sie glaubt es sich selbst nicht, dass sie zu Recht in der Führungsposition ist.
So oder ähnlich geht es vielen Menschen. Nicht nur Führungskräfte, alle Personen im Unternehmen können betroffen sein – auch berühmte Persönlichkeiten wie Michelle Obama, Tom Hanks und Emma Watson kennen den Leidensdruck.
Unter dem Imposter-Syndrom leiden meist leistungsstarke Personen, die ihre objektiven Erfolge nicht ihren eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen zuordnen. Anhaltende Selbstzweifel sowie die ständige Angst, als Betrüger oder Hochstapler (Englisch: impostor) entlarvt zu werden, sind zwei typische Anzeichen des Imposter-Syndroms.
Führungskräfte und Beschäftigte fühlen sich vor allem dann wie ein Hochstapler, wenn sie neu in ihrer Position sind oder eine neue Arbeitsstelle angenommen haben. Sich als ein Imposter zu sehen, korreliert aber auch häufig mit einem geringen Selbstwertgefühl. Viele betroffene Personen, haben schon früh in der Kindheit zu viel Verantwortung übernehmen müssen oder kritische Botschaften hinsichtlich Leistung von ihren Bezugspersonen und aus der Schule erhalten. Speziell diese Personen haben besonders hohe Ansprüche an sich selbst. Überarbeit, Vermeidung, Selbstzweifel können Symptome davon sein. Imposter sind stets erfüllt von der Angst, nicht gut genug zu sein.
Die fünf Imposter-Syndrom-Typen:
1. Perfektionst, die Person, die alles richtig machen möchte und Angst vor dem Scheitern hat.
2. Naturtalent, die Person, der alles zufällt, jedoch an schwierigen Aufgaben scheitert. Die Person ist oft sehr ungeduldig.
3. Experte, denkt, alles wissen zu müssen, damit man selbst gut genug ist.
4. Superheld, möchte in mehreren Lebensbereichen Exzellenz erreichen.
5. Einzelgängerin/Einzelgänger, die Person, die sich einen Erfolg ganz allein erarbeitet, ohne um Hilfe zu bitten.
Es gibt hilfreichen Strategien, die bei der Überwindung des Imposter-Syndroms helfen können.
Wege aus der Imposter-Syndrom-Falle:
1. Imposter externalisieren – kennenlernen und personalisieren
Als Erstes ist es wichtig, die Stimme in uns zu erkennen, die sagt, dass wir den Erfolg nicht verdienen oder nicht schlau genug sind. Woher kommt sie? Wann ist dieses Gefühl entstanden? In welcher Tonart spricht der Imposter in uns? Hilfreich kann es auch sein, den Imposter als eine Person vorzustellen. Wie sieht diese wohl aus? Wie ist sie gekleidet? Ist sie alt, jung, groß, kommt sie uns irgendwie bekannt vor? Welchen Namen könnte ich diesem Imposter geben? Dadurch erkennen wir, dass der Imposter lediglich eine innere Stimme ist, nicht aber unsere gesamte Persönlichkeit ausmacht. Wenn sich der Imposter wieder meldet, können wir seine Aussagen infrage stellen.
2. Selbstvertrauen aufbauen – Komplimente annehmen und nutzen
Um das Imposter-Syndrom zu reduzieren, ist es essenziell, ein gesundes Selbstvertrauen aufzubauen. Dies geschieht, indem wir uns unserer eigenen Erfolge bewusst werden. Ratsam ist es, ein Erfolgstagebuch zu führen und Lob/Komplimente von anderen aufzuschreiben oder positive E-Mails abzuspeichern. Allzu oft vergessen wir die vielen positiven Interaktionen im Alltag. Eine Liste mit unseren Stärken und Fähigkeiten verdeutlicht außerdem, dass wir aktiv zu unserem Erfolg beitragen. Mit der Zeit lernen wir, uns mehr zu vertrauen. Erfolge werden sich selbst zugeschrieben und Misserfolge relativiert.
3. Selbstmitgefühl – Verständnis für sich selbst entwickeln
Eine weitere wichtige Komponente zum Aufbau von mehr Selbstvertrauen ist die Entwicklung des Selbstmitgefühls. Dabei handelt es sich um die Antidote zur Selbstkritik und Abwertung. Gerade am Anfang in einer neuen Position ist es aufbauend, viel Verständnis für sich selbst, zu zeigen. Die amerikanische Psychologin Dr. Kristin Neff hat ein Selbstmitgefühlsprogramm (Mindful Self Compassion) entwickelt.
Schritt eins ist, sich erst einmal überhaupt der automatischen, negativen Gedanken gewahr zu werden. Der zweite Schritt besteht darin, eine mitfühlende innere Stimme für sich selbst zu entwickeln. Man kann einen wertschätzenden inneren Begleiter entwickeln, der immer zu einem steht und fürsorglich ist. Wie würde dieser innere Freund mit uns sprechen? Sprechen Sie das nächste Mal, mit sich selbst, als ob Sie mit Ihrem besten Freund, oder der besten Freundin reden würden.
4. Fehler annehmen – denn aus Fehlern lernen wir
Die Angst davor, ein Fehler zu machen, kann zum Überarbeiten oder auch zum Aufschieben von Aufgaben führen. Für vom Imposter-Syndrom Betroffene ist es daher wichtig, zu erkennen, dass Fehler zum Leben dazugehören und man aus ihnen lernen kann. Mut zur Lücke! Auch sollten Fehler nicht nur sich selbst zugeschrieben werden. Auch sich selbst und anderen Fehler zu verzeihen, will gelernt sein.
5. Grenzen setzen
Ein weiterer Punkt ist, Grenzen zu setzen, um sich vor zu viel Arbeit zu schützen. So gilt es, die Befürchtungen zu hinterfragen, welche dazu führen, dass wir zu viel auf uns nehmen. Was würde schlimmstenfalls passieren, wenn wir „Nein“ sagen und eine Aufgabe nicht übernehmen? Probieren Sie außerdem das Pareto-Prinzip aus. Es besagt, dass in 20 % der Zeit 80 % der Arbeit erledigt werden können. Wir vergeuden viel Zeit, um unsere Tätigkeiten zu perfektionieren. Fragen Sie, ob dieses Vervollkommnen einer Tätigkeit tatsächlich einen Mehrwert hat. Lernen Sie auch, zu delegieren. Somit geben Sie Verantwortung ab und zeigen, dass Sie auch den anderen Mitarbeitern etwas zutrauen.
Imposter-Syndrom und Perfektionismus gehen häufig Hand in Hand. Für betroffene Personen ist es wichtig, sich nicht mehr auf die Perfektion zu fokussieren. Denn es ist menschlich, dass uns Fehler passieren. Ganz nach dem Motto: „Nur wer Fehler begeht, kann auch aus ihnen lernen.“