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Psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt – Krankheitsbilder erkennen und handeln

Die Chancen stehen hoch, dass Sie sich an Ihrem Arbeitsplatz mit psychischen Erkrankungen und deren Auswirkungen beschäftigen müssen. Jedes Jahr sind in Deutschland etwa 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Erkrankung betroffen, was rund 17,8 Millionen Menschen entspricht. Zu den häufigsten Krankheiten zählen seit vielen Jahren Angststörungen, gefolgt von affektiven Störungen – vor allem unipolaren Depressionen – und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum. Menschen mit psychischen Störungen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um 10 Jahre verringerte Lebenserwartung. 2021 nahmen sich in Deutschland etwa 9200 Menschen das Leben.

Im Jahr 2020 wurden 17 % der Arbeitsunfähigkeitstage durch eine psychische Erkrankung verursacht, die Dauer von Krankschreibungen lag durchschnittlich bei 48 Tagen. Psychische Krankheiten sind heute mit etwa 38 % der häufigste Grund für Frühverrentungen.

Die Gesamtkosten werden auf 4,8 % des Bruttoinlandsprodukts geschätzt, das ist ein Betrag von 147 Milliarden Euro. Diese Zahlen wurden vor der Corona-Pandemie erhoben und dürften heute noch höher liegen.

Enttabuisierung und Entstigmatisierung

Der Komiker, Kabarettist, Slam-Poet und Schriftsteller Torsten Sträter spricht seit Jahren öffentlich über seine Depressionen und ist Schirmherr der Deutschen Depressionsliga. Sein Kollege Kurt Krömer – Komiker, Schauspieler und Autor – hat mit „Du darfst nicht alles glauben, was du denkst“ ein Buch geschrieben, das seit Monaten in den deutschen Bestsellerlisten steht und in dem er seine Alkoholsucht und Depressionen reflektiert. Viele Personen des öffentlichen Lebens haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass psychische Erkrankungen nicht mehr als Tabu gesehen und Menschen mit psychischen Störungen weniger stigmatisiert werden.

Was wir alle von ihnen lernen können und der medizinischen Wissenschaft seit langem bekannt ist: Psychische Krankheiten sind gut behandelbar.

Woran kann ich eine psychische Erkrankung erkennen?

Verhalten und Arbeitsleistung der beschäftigten Person müssen immer in Relation zum „üblichen“ Verhalten und zur „normalen“ Arbeitsleistung gesehen werden. Negative Veränderungen, die über mehrere Wochen beobachtbar sind, können Hinweise auf psychische Belastungen oder eine Erkrankung sein. Häufig zu beobachtende Symptome sind ein allgemeiner Leistungs- und Antriebsmangel. Die Person arbeitet langsam, wirkt sehr unsicher und möchte alles kontrollieren. Sozialer Rückzug, Ungeduld, Anspannung und Gereiztheit treten häufig auf. Das Teammitglied zeigt möglicherweise Probleme mit den üblichen Anforderungen, eine sehr geringe Stressresistenz oder starke emotionale Schwankungen. Selbstzweifel und Selbstabwertungen sind die Regel, Fehlzeiten nehmen oft zu.

Was kann ich als Führungskraft bzw. Teammitglied tun?

Bereiten Sie sich gut auf das erste Gespräch – und mögliche Folgegespräche – vor, gerne mit Unterstützung einer coachenden Person. Das „H-I-L-F-E-Konzept“ (BKK Dachverband, 2006 erstmals veröffentlicht und seitdem mehrfach überarbeitet) kann Ihnen als bewährter Leitfaden für die Praxis dienen. Behalten Sie Ihre innere Haltung und die wichtigsten Kommunikationsregeln im Blick. Eine offene Einstellung zu psychischen Krankheiten und ein respektvoller Umgang mit den Mitarbeitenden stellen das unabdingbare Fundament dar:

  • Erkenntnis: „Betroffene machen dies in der Regel nicht, um mir das Leben schwer zu machen!“
  • Proaktivität und Empathie: Gehen Sie auf das erkrankte Teammitglied zu, suchen Sie das Gespräch. Teilen Sie ihm mit, welche Veränderungen Ihnen in den letzten Wochen aufgefallen sind. Zeigen Sie Ihr Mitgefühl, bleiben Sie gleichzeitig offen und neugierig. Ratschläge und Lösungsvorschläge sind zu Beginn des Gespräches noch nicht gefragt.
  • Rollenklarheit: Erinnern Sie sich regelmäßig daran, dass Sie nicht die medizinische oder therapeutische Fachkraft der betroffenen Person sind. Sie diagnostizieren nicht, sondern helfen als Führungskraft bzw. Teammitglied dabei, mögliche Lösungen zu finden und an Fachleute zu verweisen.
  • Eigenverantwortung: Menschen verändern sich nur, wenn sie dies selbst wollen. Sie können der betroffenen Person Ihre Wahrnehmungen schildern, ihr Unterstützungsangebote machen und sie auf professionelle Hilfe aufmerksam machen. Den nächsten Schritt muss sie selbst gehen.

Klarheit, Grenzen, Konsequenzen: Empathie als innere Haltung einem leidenden Teammitglied gegenüber bedeutet nicht, es mit den sprichwörtlichen Samthandschuhen anzufassen. Finden Sie heraus, wie es ihm geht und was es braucht. Schildern Sie, welche langfristigen Folgen die Erkrankung auf das Team oder die Abteilung haben könnte. Teilen Sie der Person mit, was Sie in Ihrer Funktion als Führungskraft von ihr erwarten und was die Konsequenzen sind, falls sie keine eigenen Anstrengungen zur Genesung bzw. Gesundung unternimmt.

Fazit

Seien Sie mutig, schauen Sie genau hin und sprechen Sie die betroffene Person empathisch an. Kommunizieren Sie frühzeitig miteinander und suchen Sie gemeinsam nach Lösungen, wie die Arbeitsfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Letztlich geht es darum, dass die fähige und bewährte beschäftigte Person erhalten bleibt!