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Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitenden

Kompass

Das Verhalten Ihres langjährigen Mitarbeiters, Herrn P.s, hat sich vor ein paar Wochen stark gewandelt. Er zieht sich zurück, fällt regelmäßig tageweise aus. Herr P. ist sehr unkonzentriert, und seine Leistung schwankt stark. Das Team ist verunsichert, sorgt sich um seinen Kollegen, und eine gewisse Unruhe herrscht. Nach einer Phase der Beobachtung beschließen Sie, Herrn P. anzusprechen … Nur, wie? Was ist Ihre Rolle? Und was dürfen Sie fordern oder auch eben nicht?

Da psychische Erkrankungen stark zunehmen, ist die Wahrscheinlichkeit, mit einer psychisch erkrankten mitarbeitenden Person konfrontiert zu werden, sehr hoch. Auch für erfahrene Führungskräfte ist der individuelle Umgang mit betroffenen Beschäftigten immer wieder eine Herausforderung.

Auf die Psyche des Menschen hat eine Arbeitsstelle eine stabilisierende Wirkung. Daher nehmen auch Führungskräfte im Umgang mit betroffenen Beschäftigten eine besondere Rolle ein. Führungskräfte können die Sensibilität im Umgang mit psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz schärfen, Sprachlosigkeit und Stigmatisierung verhindern. Durch die richtige Kommunikation der Führungskräfte kann der Umgang mit psychischen Erkrankungen erleichtert werden – für die betroffene Person, aber auch für die Kollegen und Kolleginnen. Führungskräfte tragen somit zum Gelingen des Wiedereinstieges aus der Erkrankung in die Arbeit maßgeblich bei. Für Betroffene ist so Normalität, Teilhabe und Alltag möglich – ohne sich verstecken zu müssen.

Wichtig ist, dass Führungskräfte, aber auch Teammitglieder, nicht die Rolle eines Therapeuten oder einer Therapeutin einnehmen und sich der eigenen Grenzen bewusst sind. Die Aufgabe der Führungskraft ist es, der Fürsorgepflicht nachzukommen und zu prüfen, welche Faktoren auf der Arbeitsstelle belastend wirken und wie diese minimiert werden können. Somit können Führungskräfte aktiv zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der psychisch kranken Beschäftigten beitragen.

Besteht der Verdacht, dass ein Teammitglied psychisch instabil ist, so ist es sinnvoll, Handlungsschritte in Gang zu setzen. Eine erste Orientierung bietet hierzu das H-I-L-F-E-Konzept,das man in Gesprächen mit Betroffenen anwenden kann. Veränderungen der mitarbeitenden Person sollten vorab beobachtet und auch dokumentiert werden. Die Dokumentation sorgt für eine erhöhte Transparenz und Klarheit und hilft der Führungskraft sowie der betroffenen Person, sich an getroffene Vereinbarungen während der Gespräche zu halten.

Stoppen

Auch aus Organisationssicht heraus ist die Beachtung der menschlichen Bedürfnisse wichtig, da wir dadurch auf den Umgang der Mitarbeiter:innen mit der Veränderung Einfluss nehmen und sicherstellen können, dass wir gemeinsam und erfolgreich durch den Change-Management-Prozess kommen. Entsprechend ist es wichtig, im Prozess zu identifizieren, welche Bedürfnisse durch die individuelle Veränderungsmaßnahmen frustriert werden könnten, um dann Maßnahmen zu implementieren, die die

Das H-I-L-F-E-Konzept erklärt

Der gut einprägsame Begriff der „Hilfe“ gliedert sich wie folgt auf:

H-          Hinsehen

I-            Initiative ergreifen

L-           Leitungsfunktion wahrnehmen

F-           Führungsverantwortung: fördern und fordern

E-           Experten hinzuziehen

Bei der ersten Handlung, dem Hinsehen, findet ein Gespräch unter vier Augen statt. Wichtig ist, dass dieses Gespräch in einem geschützten Rahmen und ohne Störquellen (z. B. Handys) geführt wird. Erst bei weiteren Gesprächen können betriebliche Hilfen wie der Personalrat, die Betriebsärztin bzw. der Betriebsarzt oder die Schwerbehindertenvertretung involviert werden.

Je offener das beobachtete Verhalten gemeinsam mit dem Teammitglied thematisiert wird, desto einfacher ist die weitere Gesprächsführung und Unterstützung bei der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit. So ist es wichtig, im ersten Gespräch Mitgefühl zu zeigen, die Bereitschaft des Betriebes zu signalisieren, bei Problemen zu unterstützen und gleichzeitig zu vermitteln, dass man sich Sorgen um den Gesundheitszustand macht. Die Verhaltens- und Leistungsveränderungen sollten an konkreten Beispielen klar und deutlich beschrieben werden. Verzichten Sie auf Interpretationen, Verallgemeinerungen oder gar Diagnosen. Vorwürfe oder Mitleid sind hier unangebracht und nicht hilfreich.  

Beispiele: „Wie geht es Ihnen? Mir ist aufgefallen, dass Sie in den letzten Wochen drei Mal später als sonst zu unserem Teammeeting gekommen sind“; „In der letzten Zeit ist mir aufgefallen, dass sich sehr zurückziehen. Zum Beispiel sehe ich Sie gar nicht mehr beim gemeinsamen Mittagstisch, in der Pause oder zum Beispiel nehmen Sie an bestimmten Besprechungen nicht mehr teil“; „Ich schätze Sie sehr, daher macht es mir Sorgen, dass Sie in der letzten Zeit die ausgemachten Deadlines nicht mehr halten können. Nehmen Sie das auch so wahr?“

Häufig bestreiten Beschäftigte das veränderte Verhalten, rechtfertigen dieses mit äußeren Gegebenheiten oder weichen aus. In der Regel sind Beschäftigte beschämt über ihren Zustand, kämpfen mit vielen Ängsten oder haben die Veränderungen selbst noch nicht so wahrgenommen. Dennoch sollte den Betroffenen immer ein Hilfsangebot unterbreitet werden, sodass die mitarbeitende Person, wenn sie bereit ist, ohne Bedenken auf die Führungskraft zukommen kann.

Beispiel: „Mir ist es wichtig, dass Sie wissen, dass ich und auch das Unternehmen Sie sehr schätzen und Sie auch in schlechten Zeiten unterstützen. Wir schaffen das gemeinsam.“

Ist schon nach dem ersten Gespräch eine positive Veränderung eingetreten, vereinbaren Sie ein Feedback-Gespräch und spiegeln Sie die positive Veränderung.

Sollte sich nach dem ersten Gespräch keine Veränderung abzeichnen, ist ein zweites Gespräch notwendig, in dem das veränderte Verhalten nochmals angesprochen wird. Die Führungskraft kann nun verstärkt die Initiative ergreifen. Gemeinsam können dann konkrete Lösungsmöglichkeiten gesammelt und diejenigen ausgewählt werden, die am effektivsten erscheinen, um der betroffenen Person zu helfen, sodass trotz Krisensituation die Arbeitsfähigkeit erhalten werden kann.

„Haben Sie eine Idee, was Ihnen helfen könnte, um …“; „Kann es Ihnen helfen, wenn wir Ihre Arbeitszeiten anpassen?“; „Kann es Ihnen helfen, wenn wir Ihren Arbeitsplatz oder Ihre Aufgaben verändern? Es muss ja nicht eine Veränderung auf Dauer sein, aber vielleicht können wir …“
Sinnvoll ist auch, die Ressourcen zu ermitteln: „Welche Umgangsweise hat in früheren Situationen geholfen?“; „Gibt es Familie/Vertraute, die unterstützen können?“; „Sind Sie einverstanden, dass Angehörige in den Lösungsversuch miteinbezogen werden?“; „Gibt es im Team Personen  oder Freunde, die Sie unterstützen können?“

Sollte sich erneut keine Veränderung abzeichnen oder sich das Verhalten sogar verschlechtern, muss die Führungskraft die Leitungsfunktion wahrnehmen. In einem weiteren Gespräch sollten dieses Mal konkrete Arbeitsziele kommuniziert werden sowie die Erwartung, dass der oder die Mitarbeitende sich in eine Behandlung oder stützende Maßnahme begibt. Es muss deutlich sein, dass dies ein erneutes Hilfsangebot des Betriebes ist, aber auch, dass die betroffene Person eine Selbstverantwortung bzgl. der Erhaltung der Gesundheit und Arbeitskraft hat.

Darauf beinhaltet das Wahrnehmen der Führungsverantwortung, dass Führungskräfte Mitarbeitende trotz der Krisensituation fördern, aber auch fordern und somit die Belange des Unternehmens wahren. Fördern heißt in diesem Rahmen, Geduld, Verständnis, Fürsorge und Flexibilität zu zeigen. Fordern bedeutet, an Leistungsanforderungen festzuhalten und Mitarbeitende ernst zu nehmen. Weiterhin ist die Dokumentation der Leistungsveränderungen wichtig. Denn sollte die beschäftigte Person die arbeitsvertraglichen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen können und ärztliche Hilfe verweigern, kommt der Dokumentation, bezogen auf arbeitsrechtliche Konsequenzen, eine hohe Bedeutung zu.

Sind diese Gespräche ohne Erfolg, können Führungskräfte dann auch interne Expert:innen hinzuziehen. Eine Sozialberatung, Personen aus dem Personalrat, eine Amtsärztin bzw. ein Amtsarzt oder innerbetriebliche Helfer können der betroffenen Person begleitend zur Seite stehen und Vorgesetzte beraten. Auch dürfen Führungskräfte weiterhin folgende externe Expert:innen empfehlen: wenn vorhanden, die Nutzung der EAP-Leistungen oder andere Unterstützungsmöglichkeiten vom Unternehmen, allgemeinmedizinische Praxen, Psychiater:innen und Psychotherapeut:innen, sozialpsychiatrische Dienste und Selbsthilfebüros.

Kontakt ist das A und O

Der zeitliche Abstand der Gespräche ist davon abhängig, inwieweit die Verhaltens- und Leistungsveränderungen ausgeprägt sind. Es sollte nicht zu lange gezögert werden, das veränderte Verhalten anzusprechen, möglichst bald nach Eintritt der Veränderung. Das zweite Gespräch sollte spätestens nach 4 Wochen stattfinden. Die Führungskraft sollte regelmäßig Kontakt zur betroffenen Person haben – und wenn nur es ein kurzer Besuch mit Smalltalk im Büro der beschäftigten Person ist.

Analyse der Belastungsfaktoren

Im Prozess der Unterstützung der betroffenen Person ist es hilfreich, potentielle innerbetriebliche Belastungsfaktoren zu kennen. Sollte ein Teammitglied psychisch erkranken, ist es sinnvoll zu analysieren, ob es eine negative Wechselwirkung mit den innerbetrieblichen Faktoren und der Erkrankung gibt.

So kann der mögliche Verlust (z. B. durch Befristung des Vertrages, mögliche Insolvenz) der Arbeitsstelle eine existentielle Bedrohung darstellen und zu einer extrem hohen Belastung führen. Ein schlechtes Betriebsklima, eine mangelnde oder eine unklare Kommunikation führen ebenfalls oft dazu, dass die seelische Gesundheit leidet. Mit Zeit- und Termindruck sowie mit einer geforderten hohen Flexibilität kommt jeder unterschiedlich gut zurecht, dennoch sind dies auch Faktoren, die zu einer starken Belastung führen können, vor allem, wenn die Dauer der Belastung nicht zeitlich begrenzt ist. Ebenso erleben Beschäftigte fehlende Pausen, Störungen oder einen hohen Lärmpegel als psychisch belastend. Aber auch Monotonie und eine Unterforderung führen bei vielen zu einer geistigen und körperlichen Erschöpfung, die in einer psychischen Erkrankung münden können. Mittels einer psychischen Gefährdungsbeurteilung können präventiv Faktoren identifiziert und minimiert werden. 

Fazit:

Krisen lassen sich nicht immer vermeiden und betreffen auch schnell die Arbeitsfähigkeit. Aber Führungskräfte können durch klare und mitfühlende Kommunikation Beschäftigte bei der Bewältigung aktiv unterstützen und auch die Enttabuisierung im Team/Unternehmen fördern. Denn sehen andere Beschäftigte die Unterstützung, wächst das Vertrauen in die Führungskraft und somit auch in das Unternehmen.

Autor: L.Behm, M.Sc. Psychologin, Psych. Psychotherapeutin